Dienstag, 25. August 2009

Dienstag, 20. Juni 2000 @ 14:00:08

Von: charts@charlydavidson.com
An: ursula-maus@tkun.de
Betreff: Retour-Kutsche

Liebe Uschi,

es lag mir fern, Dich außer Atem zu bringen. Deswegen könnte man das elektronische Fernschachspiel natürlich auch etwas abbremsen, wenn gleich es zur Zeit mehr Spass als Mühe macht. --- Aber auch das Abwarten hat seine Reize.

In Punkto des Seelenverkaufes muß ich Dir widersprechen. Kein Containerianer mat m.M.n. bisher seine Seele verkauft. Stell' Dir einmal vor, eine Hure würde anstelle ihres Körpers ihre Seele verkaufen. (Das ginge wohl sowieso nur einmal.)

Was die Menschen bis vor wenigen Tagen in Deutschland (aber bald auch weltweit, wenn man der Presse glauben darf) in Containern verkaufen sind Dienstleistungen für Voyeure. Da mag der eine oder die andere dann schon auch mal ein wenig Charakter als Zugabe auf den Roulette-Tisch legen; bei Geld hört schliesslich der Spass auf. Nur insofern gebe ich Dir recht.

Nochmals, und zwar energischer, widerspreche ich bezüglich deines Satzes: “Solange man Rollen spielt, spielt es keine Rolle, dass man Rollen spielt.” - Das Wortspiel ist zwar gut, jedoch könnte m. A. n. das Thema verfehlt sein.

Ich habe 1979 einen Text geschrieben, “Der Zufall”, und der ging so: “‘Es war nur Zufall, dass ich sie traf!’, dachte er und vergass, dass er sie ja nur durch diesen Zufall traf.” Damals war ich der Meinung, dass ich hier das Thema gut getroffen habe. - Was denkst Du darüber?

Und nun ganz energischer Widerspruch: Aus meiner eigenen Einschätzung heraus ist ChD einer der unsichersten, zerbrechlichsten, von Versagensängsten geplagtesten und leidensten Menschen, die ich kenne. Anerkennung und Respekt jedoch machen seine Bodenhaftung aus, harte Arbeit und Fleiss sind seine Anker.

Dass Du Ariel und Puck ins Spiel gebracht hast, bringt mich wiederum ins Spiel der Containerianer zurück. Selbst - was ich ja für ausgeschlossen halte - wenn eine/r seine/ihre Seele verkauft hätte, zeigt uns Faust II, dass dies nicht der Weisheit letzter Schluss sein muss.

Ignatz Wrobel und Nietzsche warten schon lange auf Neuigkeiten; was machen da ein oder zwei Tage aus. Und dass ein Mensch, für dessen Opera-Poem Manuel Vasquez Montalban das Libretto schrieb, neben Giraffen mit brennenden Hälsen auch den Krieg und den Tod als DAS Salz UNSERER Erde sieht, kann einen schon sprachlos machen. Mir ging es genauso.

Als bekennender Gläubiger von Er-Kenntnisse wurden mir so nach und nach die Zusammenhänge klar. - Wie schon gesagt: Was Menschen derzeit weltweit in Containern verkaufen sind Dienstleistungen für Voyeure. Aber, die Rolle seines Lebens ist es, Dienstleistungen zu verkaufen, die es einem normalen Mann (resp. natürlich auch einer normalen Frau) ermöglichen, mit der Leichtigkeit eines unwissend-verwirrten Geistes der Lüfte oder eines Nektar auf Augenlider träufelnden treuen Helfers zu agieren.

Abschliessend würde ich sagen: “Eine versuchte Versuchung ist ein Versuch.” ... und natürlich auch einen solchen wert.

MaG

Dein Karli

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