Mittwoch, 26. August 2009

Donnerstag, 20. Juli 2000 @ 13:12:16

Von: charts@charlydavidson.com
An: ursula-maus@tkun.de
Betreff: Mosaik-Artigkeiten und andere ...

“Das Leben ist wie ein Mosaik. Am Anfang ist alles noch unklar, nach einer kurzen Zeit glaubt man zu wissen um was es geht aber erst nach einer gewissen Zeit sieht man das Mosaik klar vor sich und passt die richtigen Steine an den richtigen Stellen ein. Trotzdem gibt es Menschen, die auch am Ende ihres langen Lebens noch nicht wissen, um was es im Leben gegangen ist.” (Rainer W. Sauer)

Hallo Uschi,

Du kennst mich und meine Vorliebe im Sinne von Ernst Jüngers Minenleger Spannungs(schleifen)bögen aufzubauen, Themen anzureißen, fallen zu lassen und später wieder aufzugreifen/zu Ende zu führen, was ich auch jetzt wieder tun werde.

Zuerst das Vorspiel:
Abschied nehmen, Loslassen – zuzüglich Deiner ganzen Umschreibungen - beinhaltet universales Vertrauen. Universales Vertrauen ist wiederum stärker als blindes Vertrauen und grenzenloses Vertrauen zusammen.

Zum blinden Vertrauen:
Manche Mädels (beim Bassist Peter hat gerade wieder mal so eine “am Start”, wie er es nennt - sie nennt sich jedenfalls Melinda) demonstrieren gerne ihr ‚blindes Vertrauen‘ hautnah. Ich denke, sie haben entweder zuwenig Lebenserfahrung – wie Du meintest - oder zuwenig Prinzipien. Also was hat die Gute gemacht? – Nach dem Grillen saßen wir, also meine Frau und ich, Peter und Melinda, noch zusammen und quatschten, meine Frau hatte RTL angestellt und zwar OHNE TON. Es war ein schwarzer Mann zu sehen, sehr muskulös und mit Rastalocken; Melanie sagte trotz Anwesenheit von Peter: “Oh Mann sieht der geil aus. Den würde ich nicht von der Bettkante schubsen!” - Während Peter schnaufte, stellte meine Frau den Ton an und eine Frauenstimme sagte: “... dafür, dass er trotz seiner Aids-Erkrankung noch weiter mit Frauen geschlafen hat und vier Frauen mit dem tödlichen Virus infizierte, muß er jetzt für zehn Jahre hinter Gitter.” - Tödliches Schweigen, das erst durch Melinda aufgelöst wurde, die sagte: “Mir wäre das nicht passiert. Ich verkehre immer mit Kondom.”, wobei die Peter snschaute und ein “Jedenfalls meistens!” anfügte. Glaube mir, meine Liebe, DAS ist blindes Vertrauen.

Grenzenloses Vertrauen = Leider, und das betone ich, kenne ich ‚Madrapour' (noch) nicht. So beeindruckend die Weisheit des Inders ist: “So lang das Leben auch erscheinen mag, der Tod ist ewig.”, der Katholischen Kirche brauchst Du damit nicht kommen. Die spricht schon seit zweitausend Jahren (Halt! Das sagt mensch so, es sind aber bisher wohl nur etwa eintausendneunhundertundsechzig Jahre) vom ewigen Leben. – Eine Form des grenzenlosen Vertrauens oder des Aberglaubens?

Zu ‚ungelebte Träume sind ungelebtes Leben‘:
Dem WUNSCH, Träume zu leben steht im wirklichen Leben (Strelitz: “Das wirkliche Leben? – Stimmt, so was soll’s ja auch geben.”) für Frauen oft die Familie, die Kinder im Weg. Daher erscheint es mir für Männer stets leichter, ihre Träume zu leben. Aber schaun wir mal in zwanzig Jahren nach. Dann könnte manches anders sein.

Zu “... und nun ist’s die ...”:
“Es spricht zu Ihnen der Mann, der das ausgezeichnete Dokumentarhörspiel ‚9. November 1989‘ über die Wende gemacht hat” sagte gestern der Jenaer Kulturdezernent Dr. Albrecht Schröter (ehemals ‚Neues Forum‘) über mich im Radio und ich dachte: Wo bin ich hier eigentlich? Im falschen Film? Antwort: Nein, im richtigen Leben! - Du verstehst: Bis zur Wende hatte ich wenig Sympathien für die DDR, mehr schon für ihre Menschen, jedenfalls soweit ich welche kannte. Da mich keinerlei familiäre Verbindungen mit der DDR verbanden, waren Kontakte sporadisch, Eindrücke auf Ost-Berlin oder Fahrten auf den Transitstrecken beschränkt. Und ich war West-Berlin-geprägt: “Wia leben auf eina Insel; um uns herum lauert der Russe.”

Wie gut, dass ich schon 1981 Leute wie Lacky traf, mit dem mich heute noch eine Freundschaft verbindet. Sein Buch: “Es war doch nicht das letzte Mal” kann ich Dir übrigens auch empfehlen. (Wenn Du Dich langsam fragen solltest: Wer soll das bezahlen?, dann sollten wir mal mit der gegenseitigen Buchausleihe beginnen (obwohl mann ja sagt: Seine Frau und Bücher sollte man niemals verleihen). Außerdem kam ich einige Jahre später über meine Sendung beim Hessischen Rundfunk in (selbstverständlich Stasi-gefilterten) Kontakt mit Hörern ‚aus dem Osten‘.

Lacky stand 1981 einerseits so distanziert zum System, andererseits durfte er reisen (seine Frau Monika durfte aber nicht mit), einerseits führte er mich auf der Musikmesse in Frankfurt zum Stand der DEMUSA und kritisierte so gut wie alles was es dort als DDR-Eigenprodukt gab, andererseits war er stolz auf das, was die DDR trotz der Umstände noch zustande brachte. – Glaube mir: Zwanzig Jahre später sind die Zweispälte immer noch alltäglich. Anders in ihrer Art aber unerbittlich in der Konsequenz. Wohl Dir und anderen, die der/den Sache/en schon distanziert gegenübertreten können.

Ich kann mich erinnern, (und jetzt kommen wir auf die der Katholischen Kirche weiter oben fehlenden vierzig Jahre) dass ich es nach der Wende als ‚meine Aufgabe‘ ansah, dem Westen den Osten zu vermitteln. Einem Missionar gleich wartete ich auf Sätze, welche die beiden magischen Worte “Vierzig Jahre” enthielten und sagte darauf: “Also wie ich mich erinnern kann, waren wir in den sechziger Jahren auch nicht sehr viel weiter. Erst in den Siebzigern lief die
Entwicklung etwas auseinander.”. Kurzes Nachdenken, dann ein Aha-Erlebnis und schließlich Zustimmung “Na gut also sagen wir mal: zwanzig Jahre lang.” --- Mann, war ich stolz auf mich (so um die zehn Sekunden lang), dann kam das unvermeidliche: “Aber...!”

Ich denke, dass ich die Menschen der DDR (trotz oder wg. FDJ-Agitprop) tief in meinem Herzen niemals als Feinde angesehen hatte und daher einiges für mich leichter war als für andere Wessis. Und dann war ich auch noch einige Jahre im Personalrat der Stadt Jena und konnte ‚das volle Programm‘ der Nachwendeentwicklung (Warteschleifen, Stasi-Kontakte, Stellenabbau bei Erzieherinnen) Live und in Farbe miterleben und irgendwie habe ich auf diesem Weg die Menschen der EX-DDR kennengelernt und respektiert. --- Aber ich werde wohl niemals verstehen, warum man zu DDR-Zeiten einen Sportumhängebeutel mit der Aufschrift “Auf Zack!” versehen konnte; bei uns stand damals “Wrigleys Spearmint” drauf.

Über solche Dinge konnte ich mich auch mit Stefan Wolle gut unterhalten. Seine Lesung aus “Die heile Welt der Diktatur” war im Dezember 1998 meine erste Radioproduktion in Jena und meine Frau hatte sich damals das Buch gleich zu Weihnachten gewünscht. Ein Klasse Buch zum Klassen Feind und ihm habe ich auch den Zusatz zum Hörspiel “9. November 1989” entnommen.

Weshalb ich Dir das alles erzähle? Um Dein 7 % ChD-Kenntnis-Konto aufzufüllen? Nein. Ich erzählte es nur, weil es erkennbare Strukturen im Leben gibt, deren Hintergrund nicht erkennbar ist. Gleichwohl gibt es erkennbare Strukturen im Leben, deren Hintergrund eine eigene erkennbare Struktur ist. --- Von beiden habe ich heute mosaik-Artig erzählt.

Um Dein Konto zu erhöhen, solltest Du morgen abend mal beim MDR-TV vorbeischauen.

So viel für heute!

Ihr

Charles Foster Davidson

P.S. Nachher besuche ich erst einmal Nina Hagen ... in echt!!!

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