Mittwoch, 26. August 2009

Mittwoch, 19. Juli 2000 @ 16:49:56

Von: ursula-maus@tkun.de
An: charts@charlydavidson.com
Betreff: Reh- Aktion mit offenen Augen

Hallo mein Bester,

als ich vorhin meinem Computer "senden" befahl, landete Deine Mail bei mir. Heute versuche ich es mal mit einer schnelleren Reh- Aktion.

Die Unterscheidung zwischen Traum und Wunsch ist, wie ich glaube, nicht so leicht, weil mancher Wunsch auch ein Traum ist, eine Vision. Dein Lieblings- Traumbuch kenne ich (leider) nicht.

Ich war ungeheuer beeindruckt von Robert Merles "Madrapour", ein Buch, mit dem der Autor das Kunststück vollbringt, dem Lesenden nie zu offenbaren, ob ein Traum oder eine Geschichte erzählt wird. Außerdem hat er der Unmenschlichkeit so tiefe, menschliche Züge verliehen, daß sich die Story regelrecht in meine Seele eingebrannt hat. Bei meiner ersten Begegnung mit dem Buch bin ich nach einigen Lese- Seiten zurückgezuckt und habe es erst mal in den Schrank gestellt. Ich ängstigte mich davor, mich in soviel Nicht-Wirklichkeit hineinfallen zu lassen. ( Ich glaube, daß man in jedem Alter jedes Buch lesen kann - sofern man lesen kann, aber manche Bücher bedürfen eines gewissen Grades an seelischer und geistiger Reife.)

Eines der für mich beeindruckendsten Zitate: 'Ihr seid gerette', sagt der Inder. Seine ernste Stimme dröhnt wie eine Glocke in meinem Kopf. 'Ihr seid gerettet. Vorläufig. Aber wäre ich an eurer Stelle, würde ich dem Wohlwollen des BODENS nicht unbedingt vertrauen. Es ist nicht sicher, ob das Schicksal, das er für euch bereithält, sich erheblich von dem unterscheidet, das ich euch zugedacht hatte, wenn das Flugzeug nicht gelandet wäre. Um es deutlicher zu sagen: Vielleicht läßt auch der BODEN euch einen nach dem anderen sterben. Denn auf der Erde sterbt ihr letztendlich doch genauso. Einer nach dem anderen. Allein mit dem Unterschied, daß der Abstand etwas länger ist und euch die Illusion gibt, daß ihr lebt.' Er macht eine Pause und fährt fort. 'Nun gut, bewahrt euch diese Illusion, wenn sie die Angst euch nehmen kann. Aber wenn ihr das Leben liebt, wenn ihr es nicht gleich mir als UNANNEHMBAR betrachtet, verderbt euch diese kurzen Augenblicke nicht mit Streit. Vergeßt nicht: So lang das Leben auch erscheinen mag, der Tod ist ewig.'

In diesem Sinne noch ein zusätzlicher Gedanke von mir zum Traum- Kompromiß: Auch die Kompromisse müssen auf ihre Tragfähigkeit geprüft werden, dabei sollte man/ frau sich manchmal an Abschieden versuchen und sich dabei daran erinnern, daß ungelebte Träume ungelebtes Leben sein können. Das wäre doch ziemlich bitter - oder!? ( Gilt aber nur für echte Träume!)

Du hast mich richtig verstanden! Es ist schon schwer, zu sagen, dieses oder jenes vermisse ich - obwohl ich heute eher sage: habe ich vermißt. Mit dem zeitlichen Abstand reduziert sich vieles. Aber weißt Du, ich habe es eigentlich immer gewagt zu sagen, wie ich zur DDR stand:

Ich bin in dieses Land hineingeboren worden, ich hatte dort eine Kindheit und Jugend, die ich als glücklich empfand. Als ich dann erwachsener wurde und kritischer, fühlte ich mich immer noch zu Hause. Ich hatte die Illusion, verändern zu können und bevor diese Illusion ganz starb, ging das Land unter. Nach einer Zeit gewisser Traurigkeit lernte ich in "... nun ist's die ..." zu leben und will schon seit langem keinen Schritt mehr hinter den Zeit- Horizont zurück. Ich fühle mich heute wohl und wieder zu Hause und trotzdem: zu verändern gibt es jede Menge. Natrlich hast Du recht: manche Dinge werden Dir vielleicht verschlossen bleiben und manches kannst Du vielleicht durch mich lernen - zumindest dafür hast Du mich.

Es gelang mir heute beim "GEB"- Weiterlesen etwas zu verstehen - hoffe ich. Wenn ich die Sätze "Es gibt erkennbare Formen, deren negativer Raum keine erkennbare Form darstellt." und "Es gibt erkennbare Formen, deren negativer Raum eine erkennbare Form darstellt." versuche etwas philosophisch auf das Leben zu abstrahieren, wäre meine erste "GEB"- Reh/Maus-Erkennntnis: Es gibt erkennbare Strukturen im Leben, deren Hintergrund nicht erkennbar ist. - und ... es gibt erkennbare Strukturen im Leben, deren Hintergrund eine eigene erkennbare Struktur ist. Was denkst Du?

M(it) F(erien) G(rüßen)
antwortet Uschi mit einem

Nachtrag zu " Ssälawih":
Ich meinte nicht explizit die " große Blonde" - in meinem fortschreitenden Alter habe ich schon verstanden, daß mann nicht zwingend nur mit " Claudias" glücklich ist. Ich dachte tatsächlich eher an die Lebensweisheit und an "... nun ist's die!".

2. Nachtrag:
Nicht nur 13 Bücherkisten kommen mit nach Dänemark, sondern auch ein Korb E-Mails! Doch bis dahin sind noch 2 Wochen Zeit, um die Eklektik- Ordner weiter zu füllen!

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