Mittwoch, 26. August 2009

Sonntag, 16. Juli 2000 @ 22:01:29

Von: ursula-maus@tkun.de
An: charts@charlydavidson.com
Betreff: Zeit zum Schreiben

Hallo Charly,

wie mich Deine Zeilen gefreut haben, das kann ich Dir gar nicht mit Worten beschreiben (aber anders geht es ja nun wirklich nicht?!). Zurück von Leipzig nach Hause zu kommen und gleich „Post“ zu haben, das war schööön!

Ich werde mich jetzt darin versuchen, meinen seit Donnerstag angestauten Gehirnsalat in hoffentlich lesbare und verständliche Sätze zu „verschriftlichen“. Zuerst möchte ich Dir nochmals für die wirkungsvolle anti-melancholische Mail vom Freitag danken, sie hat mich zum Lachen gebracht und mir damit wahrscheinlich sogar den Kopf für einen Lösungsansatz freigeräumt. Meine dunkelbunte, innere Verfassung hatte ihre tatsächliche Ursache in einem, im wahrsten Sinne des Wortes, furchtbaren Arbeitsproblem - vielleicht erzähle ich Dir irgendwann mal davon. Jetzt sehe ich etwas „Licht am Ende des Tunnels“ und befinde mich mitten im Kampf für eines meiner Kreuzberger Kinder. Damit geht es mir wieder besser, für mich ist nichts quälender, als der Gedanke nichts tun zu können. Übrigens kannte ich den hinreißenden Tucholsky- „Taschenkaländer“ noch nicht - ich bin begeistert.

Ob nun Gedankenlesen zu Deinen Gaben gehört oder nicht, Du hast mich mit Deiner Frage nach literarischen Ambitionen ziemlich verwirrt, sie zwang mich dazu, in mich hineinzuhören und das Ergebnis hieß „Ja, warum eigentlich nicht!. (Daß Du nicht Gott bist, hatte ich mir schon beinahe gedacht, Du wärest sonst nicht Charly. Charly zu sein heißt: nicht Gott sein - Verzeihung, Meister Dali!) Aber, daß Du so mächtige Freunde hast: Respekt!

Doch ernsthaft: Auch ich danke Dir für das Telefonat, das mir so wichtig war. Auf jeden Fall lächle ich heftig, wenn ich daran denke. Über Deine Aufforderung an mich, darüber nachzudenken, warum ich als freie Kommunikationsexertin mich in dieses Schulprojekt „einzubinden“ (dies war der beste Ausdruck, den jemand dafür finden konnte. - Danke auch hierfür!), mußte ich länger nach- denken, und der Prozeß ist noch nicht abgeschlossen, ich werde an dieser Stelle damit „laut“ beginnen: Eigentlich habe ich den Entschluß quasi über Nacht gefaßt. Ich habe vorher in einem idyllischen Wohlstandsviertel am Rande Friedrichhagens gearbeitet, einem Quartier, von dem Besucher immer meinten, es wäre eher ein Kurort, weil: mitten im Grünen, in Müggelsee-Nähe, mit einem riesigem Park.

Trotzdem empfand ich meine Arbeit, also Menschen dabei zu helfen zu kommunizieren, zunehmend als Qual, so sehr, daß ich darüber nachdachte, ernsthaft aus diesem Job auszusteigen. Ich hatte das Gefühl zu ersticken, es war mir zu eng, zu langweilig, es war alles nur noch alltäglich, immer gleich. Ich hörte dann zufällig von dem Schulprojekt im Westteil der Stadt, für das Mitarbeiter gesucht wurden und ich bewarb ich als Kommunikationsexpertin. Das Projekt hatte zwar einen dämlichen Namen und ist Teil der versuchten Grundschulreform 2000, aber egal. An der Schule aber herrschte die freundliche Atmosphäre eines Teams. Ich besorgte mir die Ausschreibung, vereinbarte einen Termin mit der Schulleiterin und nach diesem wußte ich: Entweder hier oder gar nicht.

Du siehst: Wenn ich etwas will, kann ich auch ziemlich eisenhart sein! In meinen letzten Arbeitswochen hörte ich immer wieder von meinen Kollegen bei COMMUNICATO, das war damals meine Firma: „Wo willst Du hingehen - nach Kreuzberg? Du ist aber mutig!“ (Mit einem Gesichtsausdruck, der ahnen ließ, daß sie annahmen, ich sei total verrückt!) - Mein Mann konnte mich anfangs auch begreifen, obwohl er mich sehr unterstützte - was ihn übrigens auszeichnet. Allerdings gab es auch einige Kollegen, die sagten mir: „Das ist richtig, sie passen nicht hierher. Dort können sie viel mehr leisten.“

Als freie Mitarbeiterin („Schulsozialarbeiterin“) an meiner Kreuzberger Schule war es für mich notwendig, mich selbständig zu machen, was ich unter dem Firmennamen U-MA tat. Aber, Du weißt: Ich brauche immer neue Herausforderungen, die mich wirklich fordern und mich vielleicht ein bißchen an meine Grenzen treiben. Ich brauche Weite. ( Ist schwer zu beschreiben, aber hängt zusammen mit weitem Denken, weiten Handlungsspielräumen!) Und jetzt, auch mit Deiner Nach- Denk- Hilfe: Ja, es hat auch was mit Synergie zu tun und mit den „Mauern in den Köpfen“! In meiner Schule und in dem Projekt ist U-MA inzwischen ein bißchen zu einem „Markennamen“ geworden, ob es mal zu Höherem, Schnelleren, Weiteren reicht, ist offen.

Ich bin vorher überhaupt noch nie auf die Idee gekommen, Liedertexte zu schreiben, aer Schreiben liebe ich (tatsächlich), aber dieser Gedanke ist absolut neu für mich und ich brauchte wohl „Mentoring“. Aber vielleicht - ich kann`s ja mal probieren, schließlich „outete“ ich gerade meine Sucht nach Herausforderungen! Meine Selbstzweifel in diesem Sinne sind eher groß, ich leide unter heftigem Perfektionszwang und mir gelang es bisher nicht, einfach Paulas Rat zu folgen. (Paula ist Isabell Allendes Tochter, die ihrer Mutter riet: Fang einfach an und schreibe ein schlechtes Buch, du wirst dann schon sehen!)

Mein Lieber: Du bringst mich auf ganz schön verrückte Ideen!

Grüße von Uschi mit einem leichtem Zu- Sammen- Durch- Einander- Kopf

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