Mittwoch, 26. August 2009

Freitag, 7. Juli 2000 @ 16:20:04

Von: charts@charlydavidson.com
An: ursula-maus@tkun.de
Betreff: Handtaschenpoesie

Trotz Hoch-Zeiten in Berlin: „Ich reiste im Traum nach Kottbus und ließ dortselbst meine Handtasche stehen. Jetzt muß ich zurückträumen und sie holen“ (Tucholsky)

Hallo Uschi,

das ist für mich Poesie und wenn ich ein richtiger Deutscher wäre, so durch und durch, da würde ich gleich anfangen zu Katalogisieren: Also es ist wahrscheinlich Traumpoesie, könnte aber auch Reisepoesie sein, wenn nicht sogar Handtaschenpoesie... #### STOP! - Der stille Poet geniesst und schweigt.

Ich freue mich, dass Du nicht irritiert warst wg. meiner Schlussbemerkung bezüglich den Ehepartnern sondern sie gleich für einen guten Zweck nutzt. - Für virtuelle Sprachreisen gilt natürlich das gleiche, wie für das richtige Leben. Ein flüchtiges Eintauchen in die Lebensgeschichte eines fremden Menschen hat einen Wert an sich. Aber nicht über-treiben. Der Schuß kann auch nach hinten losgehen. Daher ein klein wenig frische Poesie, die ich für unsere morgen beginnenden EXPO-Auftritte geschrieben habe ... sozusagen hier erwähnt als gegenol zum Hochzeitsspruch. Den Song habe ich "Gute Gründe" genannt:

„Gute Gründe gibt es, dich zu hassen
Meine Finger von Dir zu lassen.
Mit Treue ist einfach ncht zu spaßen
Weshalb sollte ich dir das durchgehen lassen?

Gute Gründe gibt es, dich nicht zu lieben
Tausend Mal hab ich Dir das schon geschrieben.
Trotzdem will ich mit dir heute 6 vor 7
Und ich werd dich dabei animalisch lieben.“

So und nicht anders ist das manchmal im Leben.

Doch wieder zurück in den ersten Stock. Und da wohnt Nietzsche (natürlich neben Apolda, das ur ein aar Kilos von Jena weg ist, wo meine Frau und ich auch noch ein Haus besitzen). Er, der zeitlebens die Sprache hinter den Worten vernahm, der mit der Mentalität eines Maulwurfs in die Abgründe der menschlichen Seele blickte, damit den schönen Schein unterminierte - war er jemals abergläubig? Heinrich Mann nannte das einmal so: Nietzsche sei stetig
„...hin und hergetrieben, zwischen Christentum, Skepsis, Glauben und Aberglauben, Verneinung und Jasagen.“

Am Ende seines Lebens jedoch erkannte Nietzsche (so jedenfalls sagt es das Nietzsche-Archiv in Weimar), dass das Leben so zu nehmen sei, wie es ist. Eine Erlösung im Jenseits, wie es die Christen erhoffen, noch im Diesseits, wie es die Atheisten erwarteten, gibt es nicht. Den Menschen, der in die furchtbare Grausamkeit des Lebens geschaut hat „...rettet die Kunst. Und durch die Kunst rettet ihn sich - das Leben!“ - Da ist sie dann wieder, die endlose Schleife.

Verwirrt wendet man sich da nach Krea. Die Kreter sind nicht gerade als Poeter bekannt und still waren sie auch nicht. Epimenides wäre kein richtiger Kreter, wenn er schweigen würde. Macht er auch nicht. Und obwohl es nicht gerade viel ist, was er sagt, so bildet es doch den Grundstock für das, was Hofstadter in GEB erklärt.

Also Epimenides, der Kreter sagt: ‘Alle Kreter lügen!’. - Denn wenn er die Wahrheit spricht, dann lügt er tatsächlich. Sollte er aber lügen, dann hat er mit seiner Aussage recht. - Ja, ja: Die endlose Schleife. Soviel aus Kreta (...und zwar so viel, dass es immerhin für mehr als 2.500 Jahre Nachdenken gereicht hat, ohne Aussicht auf Lösung.), zurück in den ersten Stock und dort besitzt natürlich auch Hofstadter ein Appartement. Sein GEB-Buch hat inzwischen auf die (realle) „A. I.“ Forschung großen Einfluss genommen; da kann er sich so etwas leisten. Da Du und ich nur auf der Durchreise sind, SPIEL(berg)T das für uns keine ROLLE.

Mir fällt gerade ein, dass Dir die ISBN-Nummer vielleicht weiterhelfen könnte. Hofstadters „Gödel / Escher / Bach“ hat bei KLETT die Nr. 3-608-93037-X oder als DTV-Taschenbuch die Nr. 3-423-30017-5.

Und jetzt noch einmal etwas Kästner-Reise-Poesie zum Abschluß:

„Während ich hier bin, wäre ich gern da und dort. Indes ich bei dir bin, wäre ich gern fort. Man ist in sich verbannt und gefangen für alle Zeit. Im Krönungsmantel und auch ganz ohne Kleid. Mit dunklem Flügelschlag ziehn stumm die Wünsche dahin. Ist hier Nacht, ist woanders Tag. Sag mir doch wo ich bin! Während ich dich liebe, schreibt ein anderer sein erstes Gedicht. Während ich dich liebe, liebst du mich nicht.“

Kästner mßs oft unglücklich verliebt gewesen sein.

MfG und der ernsthaften Absicht, Deine längere Antwort abzuwarten.

ChD

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