Von: charts@charlydavidson.com
An: ursula-maus@tkun.de
Betreff: Miss-Verständnisse und Schwarzer-Humor
Hallo U,
die Bananenschalen auf dem Datenhighway sind inzwischen wirklich sehr rutschig geworden. Meist bekomme ich Deine E-mails mit einem, gelegentlich sogar mit zwei Tagen Verzug; Deine letzte Mail von Freitag kam z. B. erst heute Mo/8:07 Uhr an. Aber: Das kann doch einen Seh-Mann nicht erschüttern ... Du kennt ja das Sprichwort für elektrische Geschichtenerzähler: Wer viel mailt, mailt viele Fehler. Wer wenig mailt, mailt wenig Fehler. Und wer gar nicht mailt ...
Du hattest um Nachsicht gebeten, liebe Uschi. Also: Nach Sicht der Dinge sind jetzt alle Mails angekommen und alle scheinen Dir gelungen.
Du fragtest nach Authentizität; ein großes Wort (Nietzsche hatte ich bereits zitiert und bezüglich „sich selbst kennen“ hatte ich Dir auch schon meine Ansicht geschrieben) welchem im Deutschen der Begriff ‘Natürlichkeit’ am nächsten kommen soll. Aber schon gelangt man zur nächsten Frage: Was ist Natürlichkeit? ‘Authentizität’ in Verbindung mit ‘Natürlichkeit’ gebracht, bringt uns mitunter eben so viele Miss-Verständnisse wie Schwarzer-Humor (womit ich nicht Alice gemeinthabe ... oder doch?) Meine Antwort an Dich ist deshalb klar: Ich würde ‘Authentzität’ mit ‘Originalität’ gleichsetzen.
Ach so: Du fragtest ja auch noch ob es die eher einfach strukturierten Menschen/Innnen leichter hätten, authentisch zu sein? Vroni Feldbuschs „Unkomplexitiertheit“ mit ohne Taboos (aber dafür mit Piercing): „Du bist jut drauf? - Allet klar: Dann bin ick jut drunter.“ --- Freie Schnauzen f***** gut - sagt man. (Sorry! Aber das mußte jetzt mal gesagt sein.)
Bezgl. Deiner weiteren Reh/Maus- Kenntnis über die 'Erreichbarkeit für Frauen/von Frauen': Wie schon so oft gesagt (aber es wird immer wieder gern genommen) „Expect the Unexpected“, denn dann kann gar nichts schief gehen, denn das Gegenteil von ‘verbissen’ ist augenscheinlich ‘gelöst’.
Zu den radiotechnischen Aspekten unserer Fernbeziehung: ich möchte Dir was schenken! --- Fünf „Lichtblicken“ (in diesem Fall Mitgliedern des Fanclubs) von 183 Interessenten schickt RADIO USEDOM einen Mitschnitt der letztjährigen Radio-Serie „Charlys Prosa“ (... die ist übrigens über mich) zu; wie auch Du einen Mitschnitt kostenlos zugesandt bekommen wirst, wenn Du das willst.
Es freut mich, wenn ich Dir die ‘weit geschlossenen Augen’ empfehlen konnte; wie ein Film einem bekommt ist regelmäßig eine Frage des Geschmacks. Einen Tipp mag ich aber dazu geben; auch er geht in Richtung Authentizität:
Kubrick hat seit den 60gern (‘Dr. Seltsam’) keinen Film gemacht, ohne den großen Plan vor Augen zu haben, was er mit dem Film hintergründig vermitteln will. Ihm waren daher a) die Vorlage wichtig und b) seine Intention, wie er die Vorlage umsetzt. Sein letzter Film ‘Eyes wide shut’ wurde von ihm lange Jahre geplant, war aber noch nicht zur Verfilmung vorgesehen, als er sein Multi-Millionen-Projekt „A. I.“ (wurde von Spielberg fortgeführt und kommt in Kürze in die Kinos) aufgab und begann, die ‘weit geschlossenen Augen’ zu drehen; zwei Wochen nach der Fertigstellung verstarb er. Dass Kidman ihren (damals noch Ehemann) Cruise in ihren wenigen Szenen an die Wand spielt, ist allein das Verdienst von Kubrick, der bestimmte Szenen so oft wiederholen lies, bis Kidman wütend und Cruise erschöpft war. Dass Cruise so hölzern spielt, wie in kaum einem anderen Film, ist ebenfalls das Werk des ‘Directors’, der ihm sagte, er solle sich vorstellen, wie es sei, wenn seine Frau gerade mit einem anderen Mann im Bett wäre. Cruises gequältes Spiel im Film ist daher echt, denn Kidman hatte damals (was Cruise wusste, Kubrick wohl ahnte) tatsächlich eine Affäre. Die Dialoge sind übrigens fast 1:1 der Traumnovelle entnommen.
Wäre das nicht merkwürdig: Menschen schinden, deren Psyche quälen, sein eigenes Leben geben - und das alles für einen schlechten letzten Film?--- Ich empfehle Dir daher, den Film nicht nur einmal anzusehen und sage: Hut ab vor SKs geistiger Dienstleistung für die eher nicht so einfach strukturierten Menschen/Innnen und ihre Beziehungskrisen. - Sie funktioniert so effizient, dass es schon fast Fern-Gehirnwäsche ist. Und: Chostakovitchs Walzer Nr. 2 (für mich früher eher ein harmloses Wälzerchen) hat sich in mein Gehirn eingebrannt als Synonym für Kubricks Zeit-Geist. Oder Schnitzlers Zeitgeist? Oder schwebt über beidem der Geist von Tolstojs „Anna Karenina“?
Entschuldige. Ich bin wieder einmal, obwohl auf dem Pfad der guten Unterhaltung schreitend, vom rechten Weg unseres Sprachspiels abgekommen - also zurück: marsch, marsch.
Wie ich schon zitierte: Es ist schrecklich, das eine Buch ausgelesen und noch kein neues zu haben. In diesem Sinne mein Themenvorschlag für diese Woche: „Was ist Aberglaube?“ - So weit ich weiß sieht die Kirche allgemein im A. jede Abweichung vom feststehenden Glauben und die Katholische Kirche setzt ihn sogar schon fast mit Ketzerei gleich. Für Rationalisten ist A. dagegen einfach der Glaube an Geschehnisse paranormaler Art. Für mich steht vor allem der Aspekt des Geldverdienen durch A. im Vordergrund, wobei ich nicht sagen würde, dass ich absolut nicht a. wäre. Was denkst Du über Aberglauben?
Bis dann
...und übrigens: Tragfähige zwischenmenschliche Sprachspiele zum Nulltarif gibt es in unserer Gesellschaft immer seltener. - Ich habe zu danken, auch wenn wir uns bisher dabei erst im Erdgeschoss bewegen.
Charly
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