Mittwoch, 26. August 2009

Montag, 17. Juli 2000 @ 11:53:43

Von: charts@charlydavidson.com
An: ursula-maus@tkun.de
Betreff: Tausend Träume

Hallo Uschi,

ich bin mir sicher, daß Du die Lebens-Kurve kriegst, dank des ‘Zurüktransformierens’, dann geht alles wie von selbst. Laß Dir Zeit mit GEB, höre Musik von Bach an, blicke in Bilder von Escher. Rom wurde ja schließlich auch nicht in einem Tag abgebrannt. Und vor allem anderen: nimm Dir Zeit zum Träumen.

Bei unserem Telefonat erzähltest Du mir auch von Deinem Lieblingsort in Berlin: dem Pergamonmuseum. Da sollten wir zwei irgend wann einmal gemeinsam hingehen. Aber auch ich habe einen Lieblingsort, allerdings nur virtuell. Und dort leben möchte ich auch nicht. Er hat etwas mit meinem Lieblings-Traumbuch zu tun, das ich schon als Jugendlicher hatte: ‘Die Tausend Träume von Stella Vista (...und andere Vermilion-Sands-Stories’ von James Graham Ballard. So weit ich weis leider ausverkauft und wird auch nicht mehr aufgelegt.
Science Fiction pur: Also rein und schön und klar.

Vermilion Sands (übersetzt: Zinnober Sand), einst Wüstenkurort zur Erfüllung der ausgefallenen Träume der gelangweilten Jet-Set-Gesellschaft, jetzt (?) multikulturelle Künstlerkolonie, verfällt langsam aber unaufhaltsam. Unwirklich wie ein Fiebertraum (als ich es zum ersten Mal las, hatte ich wirklich starkes Fieber) ist es Knotenpunkt von Leidenschaft und anderen Formen menschlichen Wahnsinns; ein Zufluchtsort für echte Künstler und Pseudo-Künstler, für Schmarotzer und Geschäftemacher. Man trägt lebende Kleider, die sich der Stimmung ihrer Träger anpassen, Dichter drücken auf Tasten ihrer Computer die selbständig dichten, Klangskulpturen wachsen aus dem Boden, Wohnräume haben Gefühle und werden von den Neurosen ihrer Bewohner in den Wahnsinn getrieben, die ‘Wolkenbilder’ von Coral-D sind von Luftartisten erzeugte 3D Wasser-Skulpturen, um die Langeweile zu bekämpfen gibt man sich gefährlichen Spielen hin im Wüstenmeer.

Für mich eine unterhaltsame literarische Alternative und so um 1976/77 herum hatte ich wirkliche Sehnsucht nach Vermillion Sands. Zwei Lieder habe ich damals über das Buch geschrieben, später dann auch Geschichten für ein eigenes, das ‘Tausend Träume’ hieß, aber bis heute ist es nicht erschienen. Heute würde ich schon ‘mal gerne in Tausand oder Vermilion Sands vorbeischauen, aber dort leben könnte ich wohl nicht.

Echte Träume können wahr werden; habe ich am eigenen Gehirn selbst erlebt. Für eines meiner Lieder aus 1978/79 hatte ich die Idee im Traum und sie war auch nach dem Aufwachen so intensiv, daß ich sie gleich auf einem Keyboard eingespielt habe. Andere Träume sind insofern Schäume, da sie niemals Wirklichkeit werden können. Zum Beispiel mein Besuch in meinem Lieblingsort. Sicher werde ich irgendwann einmal irgenwo sein und mir sagen: Das könnte in etwa hinkommen - aber in etwa hinkommen und wirklich dort hinkommen sind schon zwei verschiedene paar Schuhe.

Ich denke auch: Wünsche und Sehnsüchte können durch Handeln wahr werden, aber nicht jeder Wunsch oder jede Sehnsucht sollte wahr werden. Nur, wie kann mensch das filtern? - Man möchte immer eine große lange und dann bekommt man eine kleine Dicke. Ssälawih!!! --- Also macht mensch erst einmal Kompromisse, setzt Prioritäten (was feiner klingt) und wählt aus: “Mein grösster Wunsch ist...”.

Leider krankt unsere heutige Zeit daran, dass viele Träume mit Geld erfüllt werden. (Ich würde hier sogar Kipling widersprechen wollen und behaupten, dass Geld das stärkste Rauschgift ist, das die Menschheit verwendet.) Und Mephisto braucht in unserer Zeit keinen Dr. Faust mehr, um an frische Seelen zu kommen, denn Gott wirft immer neue Bananenschalen aus. Geldorientierte Jugendliche sind derzeit seine größten Seelenverkäufer und der No.1-Hit ist: Angezahlte Autos verschleudern geliehenes Geld in Gräben. Für den Einen sind es Peanuts, für den Anderen vielleicht die grösste Schuldenfalle der Welt, die sich mit Zins und Zinseszins immer stärker zusammenzieht, bis Körperteile amputiert werden müssen, auch wenn es das Gehirn ist.

Und so kommt es wie es kommen muss: Angezahlte Träume werden für geliehene Sehnsüchte verschleudert; “Schleudern Sie ihr Leben heute, die Rechnung kommt erst in einem Jahr. - Unter Garantie!”. Diese Träume werden übrigens auch mit weit geschlossenen Augen geträumt. Und mit Öffnen der Augen sieht mensch nur das Elend um so stärker; also denken viele: Augen zu und durch!

M(oney) f(or) G(od) meint ChD
(...wäre aber keine gute Auflösung dieses Traumas).

Sag Du doch einmal: Warum meinst Du, dass ich damals die falschen Schleifen gezogen habe? - So an die 7 % von meinem Ego kennst Du ja jetzt bereits.

Nachtrag: “Für den einen ist es Klopapier, für den anderen das vielleicht längste Taschentuch der Welt.”, dachte Strelitz und freute sich, dass er wieder einmal an einem stillen Ort einen wirklich philosophischen Moment gehabt hatte.

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